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Die Klage unseres Mandanten Norbert Finke (Betreiber der Gaststätte „KLO“ in Charlottenburg) hat viel Aufmerksamkeit erfahren. Das LG Berlin hat die Klage durch Urteil vom 13.10.2020 (Az. 2 O 247/20) abgewiesen. Wir veröffentlichen die Entscheidungsgründe.

Das Gericht hat für die Klageabweisung eine eigenwillige Begründung gefunden:

 

 

  • Die durch den Berliner Senat im März 2020 verordnete Schließung alles Gaststätten (Betriebsschließung) hat das Gericht in ein Verbot umgedeutet, „bestimmte Orte … zu betreten“ (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG):

„Denn das Verbot richtet sich nicht primär gegen den Kläger und die Gaststättenbetreiber. Es richtet sich an die gesamte Bevölkerung. Es geht in keiner Weise um eine Unterbindung von Gefahren, die vom Kläger und seiner Gaststätte ausgehen….

 

 

Die Kammer verkennt nicht, dass mit dieser Stoßrichtung auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eigentlich hätte angeordnet werden müssen, dass es jedermann verboten ist, als Gast eine Gaststätte aufzusuchen.“ (UA, S. 5)

 

 

  • Da der Berliner Senat nach Auffassung des Gerichts zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsschließung angeordnet hat, kommt es nach Ansicht der Gerichts nicht darauf an, ob es mit dem Wesentlichkeitsgrundsatz vereinbart war, flächendeckend Betriebsschließungen als „notwendige Schutzmaßnahmen“ gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG anzuordnen:

„Jedenfalls mit der vorstehenden Argumentation, dass die Gaststättenschließung allein einen Rechtsreflex eines von § 28 IfSG gedeckten Verbotes bildet, Gaststätten als Gast betreten zu dürfen, kann die Existenz einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage nicht bezweifelt werden…

 

 

Die streitbefangene Verordnung ordnete letztendlich effektiv ein Betretungsverbot von Gaststätten an, und zu einer solchen Anordnung liegt in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine explizite gesetzliche Regelung vor.“ (UA, S. 6)

 

 

  • Eine analoge Anwendung des § 56 IfSG lehnt das Gericht mit der Begründung ab, der klagende Gastronom sei „nicht i.S.v. § 56 IfSG betroffen“:

„Der Grund für die Betriebsschließung ist —wie der Kläger im Zuge des vorliegenden Rechtsstreits immer wieder zu betonen, nicht müde geworden ist —nicht die Gefahr, dass von dem Kläger und insbesondere dessen   Gesundheitszustand selber die Gefahr ausgeht, dass er andere anstecken könnte.“ (UA, S. 8)

 

 

  • Allerdings meint das Gericht, dass ein Entschädigungsanspruch aus § 65 IfSG grundsätzlich in Betracht kommt:

„Die Kammer vermag sich jedenfalls nicht der Auffassung des beklagten Landes anzuschließen, dass prophylaktische Verhütungsmaßnahmen lediglich dann entschädigungsfähig sein sollen, solange es an einem bekämpfungsfähigen bzw. bekämpfungsbedürftigen Krankheitsgeschehen fehlt.“ (UA, S. 8)

 

 

  • Ob § 65 IfSG unmittelbar oder analog anwendbar ist, lässt das Gericht offen. Ein Anspruch komme jedenfalls mangels einer Regelungslücke nicht in Betracht:

„Ansprüche aus einer unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung von § 65 IfSG des Klägers scheitern jedoch daran, dass es sich bei der Schließung seines Lokals nicht um eine in dem individuellen Erscheinungsbild seines Lokals begründete Einzelfallmaßnahme, sondern um eine flächendeckende und alle Gaststätten treffende Maßnahme handelt. Die Kammer hat davon auszugehen, dass das Fehlen von Entschädigungsansprüche für Nachteile, die aus mehr oder weniger allgemeingültig und flächendeckend angeordneten Prophylaxe-Maßnahmen entstehen, vom Gesetzgeber gewollt war… Auch wenn der Grundsatz gilt, dass das Gesetz schlauer als sein Verfasser ist, ist es den Gerichten grundsätzlich verwehrt, bei der Anwendung von Gesetzen den erkennbaren Willen des Gesetzgebers in dessen Gegenteil zu verkehren.“ (UA, S. 9)

 

 

  • Ohne klaren Bezug zu einer Anspruchsgrundlage betont das Gericht am Schluss, dass es Entschädigungsansprüche durchaus für gegeben erachtet, wenn dem Kläger Nachteile entstanden sind, die als unzumutbares „Sonderopfer“ anzusehen sind:

„Der erkennende Richter hält deswegen grundsätzlich dafür, dass auch ein Unternehmer zumindest ähnlich wie ein nach § 56 IfSG als Störer zu entschädigender Erwerbstätiger zu entschädigen ist, wenn die – möglicherweise bloß mittelbaren – Auswirkungen eines gegen die Bevölkerung gerichteten Verbotes sich für ihn effektiv dahin auswirken, dass er gehindert wird, seiner Erwerbstätigkeit nachzugehen, und dies für ihn als ein nicht mehr zumutbares Sonderopfer anzusehen ist.“ (UA, S. 10)

 

 

  • Im konkreten Fall hat das Gericht ein solches „Sonderopfer“ des Klägers verneint und auf dessen „allgemeines Lebens- und Unternehmerrisiko verwiesen:

„Als Unternehmer muss er darauf eingestellt sein und hat es hinzunehmen, durch äußere Umstände vorübergehend vollständig an der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit gehindert zu sein. Dies ist grundsätzlich Ausdruck des allgemeinen Lebens- und Unternehmerrisikos.“ (UA, S.10 f.)

 

 

  • Ansprüche aus § 59 ASOG hat das Gericht mit der Begründung verneint, dass es an einer Maßnahme gegen den Kläger fehle, da die angeordnete Schließung seines Betriebs keine Betriebsschließung gewesen sei:

„Die Maßnahme richtet sich nicht gegen ihn, sondern es handelt sich um ein gegen die Bevölkerung gerichtetes Aufenthalts- und Betretungsverbot.“ (UA, S. 11)

 

 

Uns überzeugt die Entscheidung der Zivilkammer 2 nicht, sodass wir dem dortigen Kläger die Berufung empfohlen haben.