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Ein Überblick über die Änderung & Pflichten, die künftig andere Akteure treffen können als bisher

Lange Zeit galt der seit 1991 geltende und fast jährlich novellierte Rundfunkstaatsvertrag (RStV) als in die Jahre gekommen, gab es doch eine dem Namen entsprechende Zentrierung auf den Rundfunk. In die Materie fielen zwar mit der Zeit auch Angebote im Netz. Gerade im relevanten Bereich neuer Medienanbieter und -plattformen, wie etwa YouTube, waren die Regelungen aber ungenau und sorgten für Rechtsunsicherheit.

Nun gibt es einen Entwurf eines Medienstaatsvertrages (MStV-E), der die vielerorts beschriebene Medienkonvergenz in ein neues Regelwerk hievt und somit zeitgerechter werden möchte. Der Entwurf dient auch der Umsetzung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL), die bis zum Herbst in nationales Recht umgesetzt werden muss.

Nachdem der Entwurf das europäische EU-Notifizierungsverfahren der Kommission ohne größere Anmerkungen durchlief, und dabei auf die Vereinbarkeit mit EU-Recht abgeklopft wurde, unterzeichneten ihn am 1.5.2020 alle Regierungschefs. Nun muss der Entwurf noch durch alle Landesparlamente, da Rundfunkrecht Landesrecht ist, bevor er im September 2020 voraussichtlich bindendes Landesrecht wird. Spektakulär ist vor allem – auch im internationalen Vergleich – die Verpflichtung für die neu eingeführten Medienintermediären, wie Facebook, Google und Co. An anderer Stelle vereinfacht der Entwurf die Zulassungsvoraussetzungen. Ein erster Überblick.

Neuer Rundfunkbegriff

Die Frage, was Rundfunk ist, wird marginal neu definiert. Wichtig ist die Frage der Definition deshalb, weil es den Anwendungsbereich des Staatsvertrages absteckt. Rundfunk bleibt ein

  • linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten für die Allgemeinheit zum zeitgleichen Empfang.
  • Die Angebote erfolgen in Bewegbild oder Ton entlang eines Sendeplans.

„Neu“ ist:

  • Diese Angebote müssen journalistisch-redaktionell gestaltet sein (zuvor als Ausschlusstatbestand).
  • Weggefallen ist außerdem das Merkmal der elektromagnetischen Schwingungen; neu ist die Übermittlung durch Telekommunikation.

Sendeplan wird definiert

Erstmalig wird eine Legaldefinition des Sendeplans in den Staatsvertrag mitaufgenommen. Die stark umstrittene Frage, wie ein solcher ausgestaltet werden muss, spielte vor allem bei (wiederkehrenden) Live-Streams im Internet eine Rolle. So entschied das Verwaltungsgericht Berlin (Urt. v. 26.9.2019, Az. 27 K 365.18) im Dezember letzten Jahres, dass Live-Streams (BILD-live) der BILD-Zeitung zulassungspflichtiger Rundfunk seien. Die Kammer legte den Begriff des Sendeplans dabei weit aus und bejahte diesen bei den angegriffenen drei Live-Streams pro Woche. Zwei davon wurden wöchentlich zu festen Sendezeiten live ausgestrahlt, ein Format wurde werktäglich anlassbezogen als „Live-Schaltung“ zu aktuellen Ereignissen angeboten. Jede Ausstrahlung bestand für sich immer nur aus einer einzelnen Sendung. Das VG Berlin bejahte bzgl. aller Formate die Rundfunkeigenschaft und verneinte damit im Ergebnis einen Teil der umstrittenen Frage, ob einzelne Sendungen unmittelbar aufeinander folgen müssen.

Sendeplan i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 MStV-E ist nun die auf Dauer angelegte und vom Nutzer nicht veränderbare Festlegung der inhaltlichen und zeitlichen Abfolge von Sendungen.

Lizenzen: Mehr zulassungsfreier Rundfunk – eine Erleichterung für Streamer

Nach bisherigem RStV brauchte jeder, der sendete, eine Rundfunk- oder Sendelizenz. Dies sorgte für Unsicherheiten bei (Hobby)-Streamern, wie beispielsweise Lets-Play-Gamern. Nach der alten Rechtslage galt dabei für Angebote, die mindestens 500 potentielle Nutzer zum zeitgleichen Empfang abzielten, meist schon eine Lizenzpflicht.

Zwar wurde der kurzzeitige Entwurf der Kommission, ob das „Live-Zocken“ von virtuellen Spielen überhaupt einer Lizenz bedarf, nicht übernommen. Aber auch im aktuellen Entwurf ist die umfassende Einführung von zulassungsfreiem Rundfunk (§ 54 MStV-E) aufgenommen.

  • Demnach sind Rundfunkprogramme von der Zulassung ausgenommen, die im Durchschnitt der letzten sechs Monate weniger als 20.000 Nutzer gleichzeitig erreichten.
  • Auch Programme mit größerer Reichweite können ausgenommen sein, wenn nur eine „geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten“ (sog. Bagatellrundfunk, im neueren Entwurf ohne diesen Begriff).

Neu ist auch eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ der Landesmedienanstalten, die Fälle wie den genannten auf Antrag bestätigt.

Neue Akteure – Medienplattformen und Benutzeroberfläche

Der neue Staatsvertrag definiert die bereits unter den Rundfunkstaatsvertrag fallenden Adressaten – Rundfunk und Telemedien – neu und differenziert sie stärker aus („rundfunkähnliches Telemedium“). Der Entwurf schafft aber auch eine Reihe neuer Akteure, die künftig in den Anwendungsbereich fallen.

  • „Rundfunkähnliche Telemedien“ sind Telemedien mit Inhalten, die nach Form und Gestaltung hörfunk- oder fernsehähnlich sind und die aus einem von einem Anbieter festgelegten Katalog zum individuellen Abruf zu einem vom Nutzer gewählten Zeitpunkt bereitgestellt werden (Audio- und audiovisuelle Mediendienste  auf  Abruf), wie etwa Netflix, Sky oder Amazon Prime (§ 2 Nr. 13 MStV-E).
  • „Medienplattform“ ist ein Telemedienangebot, das Rundfunk oder journalistisch-redaktionelle Telemedien „zu einem Gesamtangebot zusammenfasst“, wie etwa die TV-Produkte der Kabelnetzbetreiber sowie Plattformen wie Magenta TV oder Zattoo (§ 2 Nr. 14 MStV-E).
  • Eine „Benutzeroberfläche“ ist eine „Übersicht über Angebote“ von einer oder von mehreren Medienplattformen, das sind beispielsweise Smart-TVs (§ 2 Nr. 15 MStV-E). Hier ist vor allem auf die neue positive Verpflichtung hinzuweisen, die Anbieter von Benutzeroberflächen bei der Darstellung trifft. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist demnach zwingend „auf der ersten Auswahlebene unmittelbar erreichbar“ anzuzeigen. Private Programme dann, wenn sie in besonderem Maße zur Meinungsvielfalt beitragen (§ 84 Abs. 3 MStV-E).
  • Ein „Video-Sharing-Dienst“ ist ein Telemedienangebot, dessen Hauptzweck darin besteht, Sendungen oder nutzergenerierte Videos bereitzustellen, für die der Anbieter keine redaktionelle Verantwortung trägt (§ 2 Nr. 22 MStV-E).

Medienintermediäre –  Algorithmusoffenlegung für Facebook, Google & Co?

Am meisten Aufsehen sorgte der neu geschaffene Begriff der Medienintermediäre. Das sind Telemedien, die journalistisch-redaktionell Angebote von Dritten allgemein zugänglich präsentieren, selektieren, ohne dass diese zu einem Gesamtangebot zusammengefasst werden. Als Beispiele im vorherigen Entwurf, nun gelöscht, werden Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, App Portale, User Generated Content Portale, Blogging Portale oder News Aggregatoren genannt. Zusammenfassend sind dies Plattformen, die nicht selbst „content“ publizieren, aber Inhalte von Dritten zusammenstellen und der Allgemeinheit zugänglich machen.

Für diese Intermediäre gelten nun Pflichten.

  • Transparenzgebot: Kriterien, nach denen Medienintermediäre Inhalte auswählen („ob“) und nach welchen Kriterien die Inhalte gewichtet, selektiert und präsentiert werden („wie“) müssen transparent offengelegt werden (§ 93 MStV-E).
  • Diskriminierungsverbot: Medienintermediäre dürfen die Auffindbarkeit journalistisch-redaktionell gestalteter Angebote nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund behindern (§ 94 MStV-E).

Flankierend gibt es künftig die Möglichkeit für Medienanbieter, bei Fällen von vermuteter Diskriminierung bei einer Landesmedienanstalt ein Beschwerdeverfahren einzuleiten. Diese wird dann nachprüfen, ob der Medienintermediär gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen hat (§ 94 Abs. 3 und Abs. 4 MStV-E). In offensichtlichen Fällen soll eine Überprüfung auch von Amts wegen erfolgen.

Jedoch schränkt § 91 Abs. 2 Nr. 1 MStV-E den Anwendungsbereich stark ein.

  • Die Regelung greift erst für Portale mit über eine Million Nutzern pro Monat und zielt also offensichtlich auf die Big-Player wie Facebook und Google. Ebenfalls darunter fallen Sprachassistenten (z.B. Alexa, Siri).
  • Ausgenommen sind außerdem Internet-Shops, wenn sie auf die Selektion und Präsentation von Inhalten mit Bezug zu Waren oder Dienstleistungen spezialisiert sind.
  • Schließlich sind Intermediäre mit Inhalten ausgenommen, die ausschließlich privaten oder familiären Zwecken dienen.

Damit bleibt vor allem spannend, wie (und ob) die Akteure, auf die diese Regelungen abzielen, auf die neu aufgestellten Transparenz- und Diskriminierungsgebote reagieren werden. Immerhin sieht der Entwurf auch die Pflicht für Medienintermediäre vor, künftig einen inländischen Zustellungsbevollmächtigen (§ 92 MStV-E) anzugeben. Allerdings ist stark zu bezweifeln, dass diese Anbieter ihre Algorithmen offenlegen, werden diese leicht als Geschäftsgeheimnis für den Erfolg ihres Geschäftsmodells verantwortlich gemacht.

Hinweispflicht für Social Bots in sozialen Netzwerken

Neue Regelungen gibt es auch für sog. social bots in sozialen Netzwerken. Das sind automatisierte Programme, die Inhalte verbreiten und dabei den Anschein erwecken, als stammten die Nutzerkonten von natürlichen Personen. Die Roboter-Profile analysieren Posts und Tweets und reagieren auf Schlagwörter, werden dann selbst aktiv und posten Inhalte oder liken einen Beitrag. Das ist insbesondere für die Bereitstellung von politischen Inhalten in Sozialen Medien, wie Facebook, brisant, da Hassbotschaften mit vielen Likes und Kommentaren den Eindruck einer schlagkräftigen Community suggerieren können und durch die hohe und schnelle Beantwortung von Kommentaren zugleich den Algorithmus füttern (Stichwort filter bubble).

Dass die Inhalte oder Mitteilungen aus der „Feder“ eines Bots stammen, muss als Hinweis der Nachricht gut lesbar bei- oder vorangestellt werden, wie 18 Abs. 3 MStV-E statuiert.

Telemedien: Ausweitung des Begriffes und neue Sorgfaltspflichten

Das Ziel der Förderung der Meinungs- und Angebotsvielfalt im digitalen Raum wird künftig auch durch die Stärkung der (Eigen-)Verantwortung neuer Anbieter im Netz abgedeckt. Die Einhaltung von journalistischen Sorgfaltspflichten gilt nun auch für bestimmte Telemedien. Der Anbieter soll vor der Verbreitung der Inhalte, diese mit der  nach  den  Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit prüfen.

Erfasst sind   journalistisch-redaktionell   gestaltete   Angebote, in denen insbesondere Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben werden. Selbiges gilt für ähnliche Telemedien,  in  denen  regelmäßig  Nachrichten oder  politische  Informationen  enthalten  sind (§ 19 Abs. 1  MStV-E).

Die Telemedien können sich einer bisherigen bestehenden Einrichtung einer Freiwilligen Selbstkontrolle anschließen. Aufsichtsbehörde bleibt die jeweils zuständige Landesbehörde.

Auch die Angabe eines Verantwortlichen mitsamt Adresse (§ 18 Abs. 2 MStV-E) zeigt eine Angleichung an presserechtliche Vorgaben für Printmedien. Die neuen Pflichten treffen die Anbieter zusätzlich zu den Impressums-Informationspflichten.

Fazit

Künftig müssen also mehr Akteure auf die Einhaltung der Regelungen des neuen Medienstaatsvertrages achten. Für Streamer, die noch am Anfang stehen, bedeutet der Medienstaatsvertrag hingegen erstmal mehr Rechtssicherheit. Für andere Akteure, App-Entwickler, Intermediäre und/oder Video-Streamer hingegen ist Vorsicht geboten. Einige Fragen bleiben dabei nach dem Entwurfstext offen: Wer beurteilt wann, und dies zugleich unter Einhaltung des Datenschutzes, dass die Demarkationslinien der Streamingzahlen überschritten werden? Ab wann sollte sich ein Streamer anmelden? Gilt der bisher durch die Rechtsprechung geprägte Begriff der Meinungsbildungsrelevanz – zuvor als Voraussetzung für den Rundfunkbegriff – nun auch in Abgrenzung zum Bagatellrundfunk? Ist die Regulierung von Medienintermediären (und -plattformen) europarechtskonform? Müssen alle Anbieter von Smart-TVs ihre Oberfläche ändern, um der Darstellungs- und Anzeigepflicht nachzukommen? Diese Aspekte werden sich erst mit Inkrafttreten des MStV-E in der Praxis beantworten lassen.