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Wahlen, das hat auch der Monat Mai wieder gezeigt, bieten immer wieder Zündstoff für Diskussionen um die Auswirkungen der Entwicklung in der Digitalwirtschaft auf die Meinungsfreiheit. Neben #Twittersperrt und AKK’s umstrittenen Äußerungen zur Regulierung von Meinungsäußerungen im Internet, verdient in diesem Zusammenhang der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2019 besondere Beachtung. Darin wird Facebook im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die unter Berufung auf die Community-Standards und das Hatespeach-Verbot gesperrte Fanpage „Der III. Weg“ zu entsperren und den Zugang zur Plattform zu ermöglichen.

Unter Rekurs auf die besondere Bedeutung des Netzwerks bejaht das Bundesverfassungsgericht hier einen – wenn auch nur vorübergehenden Teilhabeanspruch einer Partei ­– und weist zugleich auch ein bisschen einen Ausweg aus der Overblocking-Misere.

Worum geht es

Die rechtsgerichtete Partei „Der III. Weg“ hatte sich im Eilrechtsschutz an das Bundesverfassungsgericht gewandt, nachdem Facebook die Seite der rechtsgerichteten Partei unter Berufung auf seine Community-Standards für 30 Tage gesperrt hatte. Hintergrund für die Sperrung war die Veröffentlichung eines volksverhetzenden Posts auf der offiziellen Fanpage der Partei, der als Hatespeach eingestuft worden war. Wegen der Verpflichtungen großer sozialer Netzwerke aus dem NetzDG hatten die mit der Sache befassten zivilgerichtlichen Vorinstanzen die Sperrung als zulässig erachtet. Insbesondere sei es der Partei auch weiterhin möglich, ihre Inhalte zu verbreiten und so am öffentlichen Meinungsbildungsprozess teilzunehmen; nur eben nicht auf Facebook. Das Bundesverfassungsgericht sah eben das anders: Bei Facebook handele es sich um das von der Nutzerzahl her mit Abstand bedeutsamste soziale Netzwerk, dem gerade für die Verbreitung von politischen Programmen und Ideen überragende Bedeutung zukäme. Wegen dieser herausragenden Bedeutung als Medium sei Facebook gerade nicht ohne weiteres austauschbar.

Was das mit Fußall zu tun hat

Das Bundesverfassungsgericht betont vorab, dass die Frage ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Forderungen sich aus den Grundrechten für Betreiber sozialer Netzwerke ergeben weder in der Rechtsprechung der Zivilgerichte noch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abschließend geklärt sind. Es räumt aber einer eventuellen Verfassungsbeschwerde zur Klärung eben dieser Fragen keine allzu schlechten Erfolgsaussichten ein und verweist insofern auf seine ständige Rechtsprechung zur mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten und seinen jüngsten Stadionverbot-Beschluss. Darin hatte es seine Rechtsprechungslinie zur mittelbaren Grundrechtsbindung in privatrechtlichen Beziehungen teilweise auch auf die Gleichheitsgrundrechte ausgeweitet. Ein Stadionbetreiber ­– so der Beschluss – dürfe seine aus dem Hausrecht resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem Ereignis auszuschließen, das für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Fußball! Ein Ausschluss sei nur unter Beachtung zweier wesentlicher Anforderungen zulässig:

  • In formeller Hinsicht müsse der Betroffene zuvor angehört und die Entscheidung entsprechend begründet werden.
  • In materieller Hinsicht, fordert das BVerfG für die Annahme eines sachlichen Grundes das Vorliegen hinreichend konkreter und gewichtiger Tatsachen.

Diese Maßstäbe überträgt das Bundesverfassungsgericht nun auf die Frage des Zugangs zu Facebook und wertet die möglichen Folgen für die Partei der III. Weg im Ergebnis höher. Während dieser im Falle der späteren Feststellung der Unzulässigkeit der Sperrung wesentliche Nachteile für ihre Wahrnehmbarkeit im Zusammenhang mit der Europawahl entstünden, seien die Folgen für Facebook wirtschaftlich als gering einzustufen und die Privatautonomie hier „nur“ insoweit betroffen, als dass es Facebook vorübergehend verwehrt werde, sich einseitig aus einer ursprünglich freiwillig eingegangenen Vertragsbeziehung vollständig zu lösen.

What’s next?

Zwar wäre es wegen der besonderen Konstellation des Falles sicherlich verfehlt dem Beschluss einen allgemeinen Kontrahierungszwang für Facebook entnehmen zu wollen. Und – das betont auch das Bundesverfassungsgericht noch einmal ausdrücklich –bleibt es Betreibern sozialer Netzwerke grundsätzlich unbenommen, einzelne Beiträge unter Berufung auf die Community-Standards, die Verletzung der Rechte Dritter sowie von Strafgesetzen zu löschen.

Dennoch kommt dem Beschluss in mehrfacher Hinsicht eine Signalwirkung zu: Das gilt zunächst für die Betreiber großer Kommunikationsplattformen, die sich zur Wahrung ihrer grundrechtlich geschützten Interessen im Spannungsfeld um Löschverpflichtungen rechtswidriger Inhalte einerseits und Achtung der Meinungsfreiheit andererseits, nicht zu einem willkürlichen Overblocking hinreißen lassen dürfen. Aber mehr noch sollte der Gesetzgeber den Beschluss zum Anlass nehmen, seine Verpflichtung als Grundrechtsadressat im digitalen Raum zu überdenken und klare Verfahrensanforderungen zum Schutz der Kunst- und Meinungsfreiheit zu formulieren. So ließe sich dem Phänomen des Overblocking, das in den aktuellen Diskussion um Uploadfilter und NetzDG laut adressiert wird, wirksam begegnen.